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KATSCH me if you can - Spread Your Wings



SPREAD YOUR WINGS

Jude hatte schon eine Weile auf dem Vorsprung des grauen Flachdaches gesessen und die Höhe von zweiundzwanzig Etagen unter ihm realisiert und sogar genossen. Dabei hatte er mit geschlossenen Augen nachgedacht über das, was vor ihm lag. Jetzt stand er auf und ihm wurde ein wenig schwindelig, hier oben über der Stadt. Er spürte den leichten Wind, der versuchte, ihn mitzunehmen und leistete sanften Widerstand.
Wieder blickte er hinunter, auf die von Autos überfüllte Straße und lauschte dem Lärm der Stadt.
Verächtlich lächelte er auf sie hinab, auf diese armen, unwissenden Opfer des Stresses, den dieser grausame Alltag mit sich brachte. Die Mitläufer der Endlosschleife, die ihr ganzes Leben wie ein einziges Deja Vú aussehen ließ. Jude selbst hatte genug davon, er hatte abgeschlossen mit dem kalten, regungslosen Gesicht dieser Stadt, der nachgesagt wurde, dass sie nie schlief und die doch nur oberflächlich von einem Erwachen träumen konnte.
Die Sonne war gerade erst untergegangen - es war noch recht schwül - und die Lichter über den Straßen und in den Fenstern von unzähligen Leben wurden immer mehr ...
Als Jude den Kopf in den Nacken legte und nach oben schaute, in den Himmel, stiegen ihm Tränen ins Gesicht und er musste schlucken, um nicht laut zu weinen. Alles kam ihm so ungerecht vor, so unendlich gemein. [...]
Sein ganzes Leben hatte er versucht, jemand zu sein, der von Anderen anerkannt und gemocht wurde - ja, vor allem das war es: er hatte versucht, gemocht zu werden. Doch alle, die eine Zeit lang seine Freunde gewesen waren, die ein Stück seines Weges mitgekommen waren, waren wieder gegangen ... es war wie mit Sternen gewesen; Jude hatte sie noch so gesehen wie immer, doch eigentlich war ihre Zuneigung ihm gegenüber längst erloschen und irgendwann hatte Jude sie nicht mehr sehen können, so sehr er die Augen auch zusammenkniff und versuchte, zu retten, was nicht zu retten war, so sehr er es auch versuchte. Es war vergeblich gewesen, jedesmal. Und dann war er wieder alleine gewesen.
Niemals hatte ihm jemand gesagt, dass er etwas Gutes tat oder eine Rolle spielte; für sie alle, dachte Jude und lachte jetzt, während eine Träne sein hübsches, schmales Gesicht hinunterrollte, für sie alle war er doch nur ein Spinner, einer von vielen, die all den perfekten Menschen doch nur als Kontrast dienten. Nur, um sie noch perfekter und glänzender erscheinen zu lassen war er da.
Nicht, um zu ihnen zu gehören.
Nicht, um wie sie zu sein, das wusste er jetzt.
Aber er würde etwas ändern. Er würde etwas ändern und dann würden alle zu ihm aufschauen und ihn um Vergebung bitten, ihn mögen. Ihn lieben.
Denn jeder liebte Engel, jeder Mensch vertraute Engeln und schaute zu ihnen auf, in der Hoffnung, sie seien für sie da.
Als Engel bin ich mehr als einer von ihnen, dachte Jude und jetzt breitete er seine Arme aus und blickte voller Entschlossenheit hinunter in die von vielen bunten Lichtern gespickte Dunkelheit.
Langsam, ganz vorsichtig ließ er sich nun von dem lauen Sommerlüftchen mitreißen und kippte nun, kaum merklich, nach vorne. Er kippte und fiel, fiel hinunter und die Nacht umschloss seinen zierlichen Körper, seine engelsgleich ausgebreiteten Arme voraus fiel er.
Mit weit geöffneten Augen und zum Kampf bereit ließ er sich von dem Wolkenkratzer fallen und wollte ein Engel werden, was es ihn auch kostete.
Denn mehr als sein Leben, dachte er noch, konnte er ihnen nicht geben, und vielleicht war es das, was sie forderten. Und dann verschluckte ihn die Dunkelheit, Dunkelheit, die ihn nicht mehr hergeben wollte und für sich behielt. [...]

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